Eine wahre Geschichte     

 

(Über die Rettung der Welt)

 

Als der liebe Gott vor 4000 Jahren in seinen kleinen Kurzurlaub fuhr, war die Welt noch in Ordnung. Damals sah er, dass auf seinem Lieblingsplaneten der Erde, die kleinen von ihm geschaffenen Menschlein sich fleißig abmühten um sich ihr Essen zu sichern.

Es amüsierte ihn, als er sah, dass sie in dem Land Namens Ägypten kleine, spitze, viereckige Kästchen bauten, die sie Pyramiden nannten. Zu der Zeit fand er es noch amüsant, dass diese kleinen Wesen Gott spielen wollten und solche primitiven Berge errichteten.

„Die wollen meine perfekte Welt imitieren“ ging es ihm durch den Kopf und er empfand es als freundliche Geste der Verehrung, über sein geschaffenes Werk.

 

Und auch heute, als er gerade die schmutzige Wäsche aus seinen Urlaubskoffer wieder ausgepackt hat und Frau Holle zum waschen brachte, dachte er: Ich schau nochmal kurz rein, was die komischen Figuren während meines Kurztrips gemacht haben. Gerade so, wie man eben mal die Post durchschaut, um zu sehen, was sich in seiner Abwesenheit angesammelt hat.

 

„Hoppla“, rutschte es ihm heraus. „Die waren ja fleißig!“ Er erkannte, dass es sehr kreative Wesen waren, die er da geschaffen hatte. Kleine Schiffchen haben die sich gebaut um von einer Landfläche auf die andere zu kommen und mit vogelähnlichen Gebilden fliegen die sogar durch die Luft. Die können zwar nicht mit den Flügeln schlagen, aber irgendwie haben die es doch geschafft oben zu bleiben. Dabei hinterließen die Dinger feine weiße Streifen im Himmel, was dem lieben Gott sehr gefiel. Das war zwar nicht so schön, wie seine Nordlichter, die er einst erfand, aber auch hier fühlte er sich geschmeichelt über das Imitieren seiner Werke.

 

Dann stutzte er jedoch, als er sah, dass sich über die ganze Erde graue Streifen aus Stein zogen. Das fand er nicht so schön, war aber bald wieder beruhigt, als er die kleinen, bunten Kistchen aus Blech darüber fahren sah. Er musste laut Lachen, weil jeder von denen schneller sein wollte als der andere. „Das sind aber lustige Ideen, die sich die Menschen da haben einfallen lassen“.

 

Gott wollte schon zu Bett gehen, weil die Reise vom Andromeda Nebel doch etwas zu anstrengend für ihn war, als er erneut stutzte. Was war denn das? Die haben meine Flüsse begradigt und viele Wälder abgeholzt. Dort stehen stinkende Fabriken, dort liegen die Menschen im Streit miteinander und dabei gibt es doch so viel Hunger bei anderen Menschen. Warum dies? Können die nicht sehen, wie schön meine Arbeit war und mit wie viel Liebe ich alles geschaffen habe? Es ist doch genug für alle da. Warum können die nicht miteinander?

Und zum ersten Mal kamen Gott Zweifel, dass die Menschlein dies nicht alles ihm zu Ehren machten, sondern wohl selbst dachten sie seien Gott und könnten sein Werk verbessern und korrigieren. Der liebe Gott war auf einmal gar nicht mehr so lieb und eine ungeheure Wut packte ihn. „Die haben mich getäuscht!“ fuhr es aus ihm heraus. „Ich war doch nur mal kurz weg und schon geht hier alles drunter und drüber.“

Aus seiner Wut folgte Enttäuschung und dann Selbstzweifel. „Vielleicht sollte ich den ganzen Krempel aus meinem kosmischen Gebilde einfach rausschmeißen. Irgendwie passt das nicht mehr so richtig in das Gesamtkonzept.“

Andererseits tat ihm der Gedanke aber auch leid, wo er sich doch gerade mit den finnischen Fjorden so viel Mühe gemacht hatte. Vielleicht gibt es ja auch ein Menschlein, was nicht so ist wie die anderen?

Der liebe Gott schaute nun genauer hin und wurde bald fündig (Weil er eben auch unheimlich schnell gucken kann. Anmerk. des Verfassers).

 

Das kleine Wesen hieß Michaela, was so viel bedeutete wie: …die ist wie Gott… Das wollte er genauer wissen.

Als erstes fiel dem lieben Gott auf, dass Michaela alles anders machte als die Meisten.

Die fuhr mit ihrem blauen Blechkästchen auf den grauen Steinstraßen viel langsamer, als die anderen. Dadurch konnten die nicht mehr so schnell fahren und ärgerten sich. Das ist lustig, dachte sich Gott, der sowieso viel mehr die Ruhe liebte, als die Hektik. Das war auch der Grund dafür, dass er so gerne auf seinem neuen Wolkensofa lag, anstatt ständig den Müll raus zu tragen.

Als nächstes fiel ihm auf, dass das kleine Mädchen immer zwei unterschiedliche Socken trug, die ständig frisch gewaschen sein mussten. Die ist wohl etwas zerstreut, dachte er bei sich, denn er sah auch, dass Michaela ohne Unterlass etwas suchte (wo sind meine Schlüssel, wo ist mein Dienstausweis, wo ist der Besen und so weiter…). Sie schien gerne zu waschen, denn sie nannte ihre Waschmaschine liebevoll „Waschi“. Das erinnerte ihn an Frau Holle, die ihm oft genug die Wäsche verfärbte oder zu heiß kochte, sodass ihm die Pullover nicht mehr passten.

Zudem hat die Kleine ein Herz aus purem Gold. Sie hilft immer jedem, ohne etwas dafür zu verlangen. Sie liebt die Schönheit der Welt und guckt sich auch gerne fremde Länder an.

Jetzt erinnert er sich auch an das Mädchen! Das ist doch die, die mich immer so oft anruft. Ständig will die was und wen ich alles beschützen soll, puuh! Ein bisschen anstrengend ist die ja schon, aber sie ist dennoch das Beste, was ich auf der Erde entdecken kann. Sie ist liebevoll und mitfühlend und meint es gut mit Ihresgleichen.

 

So kam Gott zu der Erkenntnis:

„Wenn auch die Welt schlecht geworden ist, so ist es der Verdienst dieser einen guten Seele, dass ich die Erde nun doch nicht zerstöre.“

 

Fazit:

Manchmal können zwei falsche Socken die Ordnung des ganzen Universums retten, aber nur wenn sie frisch gewaschen sind.

 

Lugano                 

 

Zeitreise: Zurück in die Mitte des letzten Jahrhunderts.

Lugano, mondän, weltoffen, ein Treffpunkt der Reichen und Schönen dieser Welt. Blumenpracht in schattigen Baumalleen, ein Stück „La Dolce Vita“, aber nur auf schweizer Seite. Maler, Künstler, Schriftsteller, Dichter und Denker geben sich hier ein Stell-dich-ein. Die Kunst, die Pracht, der Müßiggang, alles ist hier vertreten, und alles wird hier neu erschaffen. Klassizistische Hotels und alte Villen aus der Patrizierzeit und das schöne, leichte Leben, die Cafés. Man promeniert mit Sonnenschirmchen und palavert entweder belangloses, oder diskutiert an der Bar, in der Eckkneipe, bei einem Pastis über das Leben und die Neuerschaffung der Welt, so wie sie hier ist. Zumindest möchte jeder daran beteiligt sein.

Heute:

Neugierig auf diesen Ort der Erneuerung, den auch Hermann Hesse so schätzte und in den schillernsten Farben beschrieb, beschloss ich ihn zu besuchen. Also quäle ich mich mit dem Auto durch den inzwischen zum Stau erlegenen Weg am See. Nach mehreren Runden um die Prachthotels an der Uferpromenade, versuche ich (während ich auf der Parkplatzsuche bin), etwas von dem Zauber der Hesse´schen Erzählungen zu erahnen. Nach 20 Minuten gebe ich die Hoffnung auf, hier noch eine freie Parkmöglichkeit zu ergattern. Weit ausserhalb des Zentrums finde ich eine kleine, schmuddelige „Auberge“, direkt über einem Döner-Imbiss. Hier werde ich mein Quartier für die Nacht aufschlagen. Es gibt auch noch eine freie Kammer zu einem Horror-Preis. Das Zimmer liegt in einer Seitenstraße, mit schrägem Blick zur Hauptstraße. Es ist laut, stickig und heiß. Der Wandschrank verliert seine mintgrüne Farbe. Sie bröckelt, als ich den Stuhl zur Seite stelle um ihn zu öffnen. Es befinden sich keine Bretter darin um irgendetwas darin ab zu legen, also unbrauchbar. Ich schließe die Türen des Schrankes und stelle den Stuhl wieder davor, da dieser verhindert, dass die Türen immer wieder aufschwingen.

Zu Fuß gehe ich Richtung See um mir die berühmte Promenade in Ruhe zu verinnerlichen. Der Weg von hier ist weit und führt mich durch eine halb verfallene Plattenbausiedlung aus den Siebzigern. Unter einem romantischen Lugano hatte ich mir etwas anderes vorgestellt.

Am Seeufer angekommen, glänzen neue Glasbauten zwischen den alten, maroden Luxushotels hervor. Ein trauriger Anblick. Die Kombination von Alt und Neu ist nicht gelungen und wirkt auf mich „aufgesteckt“. Gebaut wurde hier ohne ein Gefühl für den Erhalt dieser einst so besonderen Atmosphäre. Hier wurde Geschichte zerstört. Die Blütenpracht ist erstorben und nur vereinzelt sind in verdurstenden Plastikkübeln Blumen eingepflanzt. Die Prachtallee verkümmerte zu einer wenig schattenspendenden, gestutzten Pappelbaumreihe. Die Stadt ist mit jungen Menschen gefüllt und viele geschäftig dreinblickende Anzüge mit Krawatte, laufen gehetzt mit dem Handy am Ohr durch die Straßen. Mir fällt auf, dass Menschen, die sich als unentbehrlich und wichtig empfinden, beim telefonieren immer den Ellbogen in eine waagrechte Position bringen. Dabei wird das Handy mit nur drei Fingern gehalten und das Sprechen ist immer ein wenig zu laut. Menschen und ihre Rituale…

Es wirkt auf mich, als seien die Bewohner nur rein zufällig in diese Stadt gesetzt worden. Vor der Kulisse des „alten“ Lugano wird mir klar, dass diese Menschen einfach nicht hier hinein passen, in den alten Charme der „Belle epoque“. Vielleicht bin ich auch nur zu romantisch veranlagt, aber alles ist gekünstelt und die Szenerie wirkt surreal.

Nur vereinzelt sieht man noch diejenigen, die das mondäne Leben noch repräsentieren und aufrecht erhalten wollen. Ältere Herren, groß, schlank, mit markanten, eckigen Gesichtszügen, braun gebrannt, kommen sie leise schlendernd vom Seeufer flanierend daher. Sie tragen Bastschuhe mit Ledereinsatz, weißer Leinenanzug mit gestecktem Tuch in der Brusttasche und Strohhut. Ihre Schritte sind vorsichtig und unauffällig. Immer etwas abseits der wirbelnden Menschenmassen. Mit ruhigem Blick schauen sie durch die Menschen hindurch, als ob diese nicht anwesend wären. Sie hängen ihren Gedanken nach und scheinen die Stille des Sees und die ruhige Luft zu genießen. Ich sehe ihnen nach, wie sie im Licht des späten September nachmittags „wandeln“. Nach einiger Zeit des Schauens bemerke ich, wie mich gerade diese Menschen zu beobachten scheinen. Ich sehe ihre eindringlichen Blicke, wie sie den meinen begegnen. Wir sehen uns in die Gesichter und keiner weicht dem Blick des anderen aus. Kein Lächeln, keine Regung. Es ist ein merkwürdiges Gefühl: Wir sehen uns einfach nur an. Wer beobachtet hier wen? Wieso nehmen sie mich wahr? Warum bemerken sie gerade mich, wo sie doch der hiesigen Welt entflohen sind? Bin ich vielleicht einer von ihnen und sie haben mich erkannt?

Ich fühle mich wie ein Zeitreisender, ohne eine Spur der Hoffnung, die schönen Tage wieder aufleben lassen zu können.

Zeit für Abschied.